(H)ausgeträumt

 

...Rationell wie wir zu sein versuchen, legten wir den Termin beim Notar auf die ersten Tage, die wir im Tessin verbringen wollten. Auch die Schlüsselübergabe sollte an diesem Morgen stattfinden.

 

Pünktlich zum Anfang der Frühlingsferien, sassen wir als gesamte Familie im Zimmer des Notars.

 

Wobei das Wort pünktlich nicht wirklich angebracht war. Wir hatten uns nämlich gründlich verfahren. Der Kofferraum des gemieteten Autos war viel kleiner als wir angenommen hatten, also hatten wir Extraladezeit benötigt. Und das mitbestellte Navigationsgerät war zwar bereits bezahlt, aber im Auto nirgends zu finden. Was wir aber erst nach einer Stunde Fahrt bemerkten.

 

Auf der Suche nach dem Büro des Notars fuhren wir schliesslich Bellinzonas Strassen auf und ab. Eine Einbahnstrasse am Hang gar viermal.

 

Unsere Jungs waren still geworden. Offenbar waren Papa und Mama nun wirklich gestresst. Als wir vorschlugen zu beten, kniffen sie die Augen ganz fest zusammen. Kurz darauf waren wir da.

 

Wir parkten das bis zum Ausbeulen vollgepackte Auto und hetzten mit den Kindern an den Händen über einen Marktplatz. Auf dem Platz standen in der warmen Frühlingssonne ganz viele kleine Bistrotische mit „esspressotrinkenden“ Einwohnern, die uns interessiert beobachteten.

 

Vor allem als wir zum dritten Mal an ihnen vorbei rannten. Wir konnten den Eingang zum Gebäude nicht finden.

 

Es ist schwierig nur innerlich hysterisch zu sein. Am liebsten wäre ich durch ein Fenster ins Büro des Notars geklettert. Doch bevor das nötig wurde, fanden wir die Tür.

 

Im Warteraum trafen wir auf den Verkäufer. Meine Hysterie verkrümelte sich in ein etwas atemloses Lachen. Er war tatsächlich gekommen. Und er war auch geblieben. Und er schien ganz entspannt. Nichts deutete also darauf hin, dass er das Angebot noch zurückziehen würde.

 

Auch der Notar war gut gelaunt. Er schaute bloss verwundert auf unsere zwei Jungs, die ihn, wie im Auto noch gelernt, freundlich auf Italienisch grüssten.

 

Wir setzten uns an den langen Tisch, eine Hand immer auf unserem wertvollen Rucksack. Auf Geheiss des Notars öffneten wir den Reissverschluss und nahmen, immer noch leicht ausser Atem, das dicke, weisse Couvert heraus. Wir legten es in die Hände des „Nochbesitzer“ unseres Traumhauses, der uns lächelnd gegenübersass.

 

Er öffnete den Briefumschlag und entnahm ihm einen dicken Bündel Hunderter- und Tausendernoten.

 

Erich hatte diese in den vergangenen Tagen von verschiedenen Banken zusammen getragen. Mit dem gesamten Barbetrag hatte keine Schalterdame rausrücken wollen.

 

Warum wir bar bezahlten? Um Gebühren zu sparen. Und ist es nicht herrlich romantisch?

Gebannt schauten wir zu, wie der Mann zählte, aus dem Konzept geriet und noch einmal von vorne anfing. Es stimmte. Alles stimmte.

 

Während der Notar von bedruckten A4 Papieren vorlas, versorgte ich die Jungs mit Notizzetteln von seinem Tisch. Sie zeichneten Flugzeuge. „Mami“, flüsterte mir der Kleinere ins Ohr, „gehen wir wieder mal nach Griechenland?“

 

Als als wir den unscheinbaren kleinen Schlüssel mit dem blauen Anhänger schliesslich in der Hand hielten, konnten wir unser Glück immer noch kaum fassen. Es schien einfach zu schön. Aber als wir das Büro verliessen und die Treppen hinunter stiegen, rief uns niemand zurück.

 

Wir hatten ausgeträumt. Denn der Traum ist wahr geworden! (Fortsetzung folgt)

 

 

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